November 19

Diogenes und das Geld

  Von Diogenes erzählt man, dass er in Lumpen gekleidet durch die Stassen von Athen ging und in den Hausfluren schlief.
Man sagte, dass eines Morgens, als Diogenes noch schlaftrunken im Hausflur seiner nächtlichen Schlafstelle lag, ein wohlhabender Grundbesitzer dort vorüberging.
«Guten Tag», sagte der Herr.
«Guten Tag», antwortete Diogenes.
«Ich hatte eine sehr erfolgreiche Woche, und deshalb bin ich gekommen, um dir diesen Geldbeutel zu geben.»
Diogenes sah in schweigend an, ohne sich zu rühren.
«Nimm ihn, Es ist ohne Hintergedanken, Das Geld gehört mir , und ich gebe es dir, ich weiss, dass du es nötiger hast als ich.
«Hast du noch mehr davon?» fragte Diogenes.
«Natürlich», antwortete der Reich, «viel mehr.»
«Und du möchtest nicht noch mehr haben, als du bereits besitzt?»
«Natürlich hätte ich gerne mehr.»
«Dann behalte dein Geld, denn du hast es nötiger als ich.» Manche behaupten, der Dialog sei folgendermassen weitergegangen:
«Aber auch du musst essen, und dafür brauchst du Geld.»
«Ich habe Geld», sagte Diogenes und zeigte dem Grundbesitzer eine Münze, «das reicht nur für eine Schale Weizen zum Frühstück und vielleicht für ein paar Orangen.»
«Das sehe ich ein, aber du musst doch auch morgen essen und übermorgen. Woher nimmst du denn das Geld?»
«Wenn du mir versprechen kannst, dass ich morgen noch lebe, dann nehme ich vielleicht dein Geld …»
 

Jorge Bucay, Komm, ich erzähl dir eine Geschichte

   
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